- mykenische Kultur: Idolplastik und Keramik spätmykenischer Zeit
- mykenische Kultur: Idolplastik und Keramik spätmykenischer ZeitDie Eigenart und die Eigenständigkeit mykenischer Kunst werden besonders deutlich in der Vasenmalerei und in der Kleinplastik aus Terrakotta. Schon im 16. Jahrhundert v. Chr., der Blütezeit früher mykenischer Kultur, übernahmen die Vasenmaler in der Argolis und in Messenien die Technik minoischer Firnismalerei mit dunkler Malfarbe auf hellem Grund. Damit einher geht die Übernahme minoischer Gefäßformen, zum Beispiel einhenkliger bauchiger Tassen oder auch einhenkliger konischer Becher, und minoischer Malmotive. Dies wird besonders deutlich an Gefäßen mit Spiraldekorationen und Pflanzenmustern, etwas in der festländischen Vasenmalerei Neuartigem. Parallel dazu wurde zunächst noch an griechisch-festländischen Werkstatttraditionen festgehalten, die sich in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. ausbildeten. Zum Beispiel wird weiter minysche und matt bemalte Keramik produziert. Die Vorbildwirkung minoischer Kunst verstärkt sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts v. Chr. Besonders Großgefäße wie Amphoren und Schnabelkannen zeigen nun differenzierte Dekorsysteme aus reich entwickelten Pflanzen- und Meeresmotiven und weitere typisch minoische Ornamente wie z. B. groß angelegte Spiralbänder. Die mykenische Keramik hebt sich jedoch bereits in dieser Phase durch ihre größere Statik von der Bewegtheit der minoischen Bilderwelt ab. Dies äußert sich in einem Streben nach stärkerer Symmetrie und auch in der Anlage von Pflanzenornamenten in senkrechter Form parallel zur Gefäßachse, nicht wie im minoischen Kreta die Gefäßoberfläche tordierend (verdreht) umkreisend. In die gleiche Richtung weist die Tendenz zur stärkeren Zonengliederung der Oberfläche. Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts v. Chr. wird zur Umbruchzeit, in der sich dann ein echter mykenischer Stil herausbildet. Zwei Spielarten stehen sich dabei gegenüber. Eine wohl vom Stilgefühl her letztlich aus Kreta kommende Tradition setzen die ephyräischen Becher fort, tonwandige, tiefe Trinkgefäße, auf deren Oberfläche sich ein einzelnes, groß gezeichnetes Motiv entfaltet. Es kann sich dabei um Spiralwirbel, Tintenfische, Lilienblüten oder Rosetten handeln. Vegetabile wie figürliche Formen unterliegen dabei bereits einer erheblichen Abstrahierung. Für die spätere mykenische Entwicklung wird jedoch eine andere Stilrichtung richtungweisend: breit angelegte, waagerechte Firnisbänder, die das Gefäß umkreisen und seinen Aufbau akzentuieren, indem sie Rand, Fuß und Henkelzonen betonen. Diese Bänder tragen so zu einem strengeren Aufbau bei. Dekorative wie pflanzliche Malmotive beschränken sich in der Folge gewöhnlich auf die Henkelzonen.Die Vorliebe für derartige Streifendekorationen, die sich bald zu Gruppen breiterer Bänder und schmalerer Firnisreifen entwickeln, die diese Bänder konturieren oder auch von ihnen eingeschlossen werden, wächst im Laufe des 14. Jahrhunderts v. Chr. Ebenso verstärkt sich das Bestreben, den Gefäßaufbau durch Bandbemalung noch klarer zu gliedern, in seinem Aufbau sichtbar zu machen und damit auch die Einzelglieder hervorzuheben. So kann die Fußzone eines Gefäßes dunkel gefirnisst werden und dem Gefäß somit einen sichereren Stand verleihen. Dem entspricht vielfach ein gleichfalls dunkel gefirnisster Gefäßrand, der ein optisches Gegengewicht setzt. Die Oberfläche gliedern dann in rhythmischen Abständen Gruppen von Firnisbändern und -reifen. Das Hauptornament wird in die mehr oder minder schmale Henkelzone eingespannt. Gleichzeitig und folgerichtig geht der Prozess der Abstrahierung der Ziermotive weiter. So werden Kraken zu Schlingenbändern, Tintenfische zu Spiralhaken, Blüten zu Winkel- oder Bogengruppen reduziert. Dies schließt nicht aus, dass in Einzelfällen aus derartigen abstrahierten Pflanzen, gelegentlich auch noch Meeresmotiven, durchaus prachtvolle, gerade in ihrer rigorosen Stilisierung überzeugend komponierte Dekore entstehen.Das Formenspektrum der mykenischen Keramik dieser Zeit ist sehr reich. Als Trinkgefäße wurden hochfüßige zweihenklige Becher, die Kylikes, benutzt sowie flache oder auch konische Tassen und große zylindrische Humpen, deren Wandung sich zur Mitte hin einzieht. Große Schnabelkannen dienen zum Ausschenken von Flüssigkeiten, amphorenartige Gefäße unterschiedlicher Größe zur Aufbewahrung von Wein, Öl und Ähnlichem. Eine typisch mykenische (und vorher bereits minoische) Form ist die Bügelkanne, ein im Umriss birnenförmiges oder häufiger kugeliges Gefäß, das von einem massiven Knaufaufsatz bekrönt wird, von dem bügelartige Henkel nach beiden Seiten ausgehen. Der eigentliche enge Ausguss ist schräg zum Bügelhenkel gestellt und ermöglicht es, den Inhalt - meist Öle und kostbare Parfums - in kleinen und kleinsten Mengen auszugießen. Die geschilderten Entwicklungstendenzen der mykenischen Keramik des 14. Jahrhunderts lassen sich nicht ohne einen Blick auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund erklären. Es ist die Zeit der Anlage mykenischer Großresidenzen und damit zugleich des Aufblühens mykenischer Palastwirtschaft, verbunden mit einer Ausweitung mykenischer Handelsverbindungen im gesamten Mittelmeergebiet. Tongefäße wurden in dieser Periode in den Werkstätten, die sich im Umkreis der Paläste angesiedelt haben, bereits serienmäßig in großen Stückzahlen hergestellt. Diese Werkstätten hatten für die Versorgung des eigentlichen mykenischen Kulturraums ebenso zu arbeiten wie für den Export besonders nach Osten, nach Ägypten, dem Vorderen Orient und Zypern. Dies erklärt auch die zunehmende Schematisierung und Standardisierung von Gefäßformen und Dekorationssystemen.Die Vasenmalerei des 13. Jahrhunderts führte die geschilderten Strukturprinzipien und Entwicklungstendenzen kontinuierlich fort. Reduktion und Abstraktion des Ornamentschatzes steigerten sich noch. Charakteristisch dafür sind tiefe, bauchige, zweihenklige Skyphoi, Trinkgefäße, deren auf die Henkelzone eingegrenztes Ornamentsystem nun eine Gliederung in senkrechte Felder erfährt. Die Einspannung des Ornaments in die wichtigste Zone des Gefäßes, die Henkelzone, und der gerade im 13. Jahrhundert v. Chr. zu beobachtende felderartige, achsensymmetrisch bestimmte Aufbau des Ornamentes sind Merkmale, die in noch präziserer und rigoroserer Weise von der griechisch-geometrischen Keramik des beginnenden 1. Jahrtausends v. Chr. fortgeführt werden. Mykenische Vasenmaler arbeiteten also nach Strukturprinzipien, die denen der späteren griechischen Kunst durchaus verwandt sind. Hier deutet sich eine künstlerische Komponente an, die auch die Umbruchzeiten von der mykenischen Periode zur späteren griechischen Kulturwelt überdauert.Die mykenische Vasenmalerei des 14. und 13. Jahrhunderts v. Chr. lässt nur geringe regionale Differenzierungen erkennen. Dies ändert sich sehr deutlich nach der Zerstörung der mykenischen Burg- und Palastanlagen der Zeit um 1200 v. Chr. Nun entstanden recht klar definierte Regionalstile. Bescheidenere Tongefäße lassen eine Fortführung der konventionellen Stiltendenzen erkennen, offenbaren aber zugleich eine Verarmung des Ornamentschatzes. Daneben stehen reichere, prächtigere Vasengattungen. In der Argolis entstand der dichte Stil (»closed style«), der durch Bänder alternierender konzentrischer, noch mit der Hand gezogener Halbkreise und durch einzelne figürliche Motive wie etwa Vogeldarstellungen, die gleichfalls aus abstrakten Ornamentgruppen zusammengesetzt sind, gekennzeichnet ist. Die Werkstätten in Attika, auf den Kykladen und auf den Inseln der Dodekanes produzierten die prachtvoll dekorierten Bügelkannen, die das Motiv des Oktopus in der Ägäis ein letztes Mal variierten. Die Kraken, weit gehend aller naturalistischer Details entkleidet, wurden senkrecht, entsprechend der Gefäßachse, auf der Oberfläche arrangiert. Die breiten, bandförmigen Beine, zum Teil mit fransenförmiger Außenkonturierung oder auch ein Netzwerk aus Winkelbändern, das die Beine miteinander verstrebt, sorgen für einen flächenfüllenden Effekt. Auf der Insel Euböa und auch in der Argolis entstanden Werkstätten, die aufwendigeres Geschirr mit figürlicher Bemalung herstellten. Schönstes Beispiel dafür ist die Kriegervase von Mykene, ein über 40 cm hoher Krater, der einen Zug von gewappneten Kriegern darstellt, die mit Schilden, Panzern, Hörnerhelmen und Beinschienen ausgerüstet sind und als Angriffswaffen Lanzen tragen. Derartige Schöpfungen der Vasenmalerei der Spätzeit des 12. Jahrhunderts v. Chr. greifen Bildthemen auf, die vorher der großen Malerei, der Freskomalerei in den Palästen vorbehalten waren. Sie sind die letzten Höhepunkte in einer Tradition, die sich dem Ende zuneigt.Die mykenische Kleinkunst knüpfte auch in anderen Bereichen an minoisches Erbe an. Dies gilt unter anderem für die Siegelschneidekunst und das Elfenbeinhandwerk. Durchaus Eigenständiges schuf das mykenische Kunsthandwerk im Bereich der Terrakottaplastik. Zu Tausenden haben sich in mykenischen Gräbern Siedlungen und Heiligtümern kleine, meist nur zwischen 8 und 12 cm hohe, frei geformte Terrakottaidole gefunden. Aus einem säulenartig aufsteigenden Unterkörper entwickelt sich der flache, scheibenförmige Oberkörper, der entweder gerundet ist, sodass die Arme an den Körper angelegt scheinen, oder auch erhobene, armartige Zipfel ausbildet; Letzteres entspricht den erhobenen Armen kretischer Terrakottaidole der Spätzeit, geht also auf einen Epiphaniegestus zurück. Das Gesicht ist auf das Äußerste stilisiert, nur eine schmale Nase und deutlich hervorgehobene Augen sind angegeben. Die Brüste dieser weiblichen Figürchen können im Relief hervortreten, gelegentlich wird auch der Umriss der Arme in dieser Weise betont. In Einzelfällen halten die Idole ein kleines Kind in den Armen. Die Oberfläche überzieht gewöhnlich ein Netz parallel angelegter Wellenlinien. Bei diesen Idolen handelt es sich um weibliche Gottheiten, worauf auch der Epiphaniegestus hinweist. Die Figürchen mit einem Kind in den Armen stellen das Bild der Kourotrophos dar, das heißt der weiblichen Muttergottheit, die ihr Kind stillt. In der mykenischen Spätzeit des 13. und 12. Jahrhunderts begegnen einem auch größerformatige Terrakotten, deren Höhe aber selten über 30 cm hinausgeht. Sie sind hohl auf der Töpferscheibe gedreht und folgen im Grundtypus in der Regel den sehr viel kleineren Idolen. Die Brüste sind gewöhnlich im Relief hervorgehoben, um den Aspekt der Fruchtbarkeit anzudeuten. Die Arme können in einem auch aus dem Vorderen Orient bekannten Fruchtbarkeitsgestus zu den Brüsten greifen, vielfach sind sie aber auch erhoben, um wieder auf die Epiphanie hinzuweisen. Große, expressiv gestaltete Augen beherrschen die maskenartig flachen Gesichter. Das größere Format ermöglichte eine reichere Bemalung, etwa in der Darstellung von Pflanzen, aber auch in der Andeutung von Gewändern und reichem Hals- und Kopfschmuck, der die Würde der Gottheiten hervorhebt. Solche großformatigen Idole haben sich in Mykene, Tiryns oder auch in Phylakopi auf der Insel Melos in kleinen, architektonisch sehr bescheiden gestalteten Heiligtümern gefunden. Sie sind echte mykenische Kultbilder.Daneben sind in Heiligtümern, aber auch als Grabbeigaben tiergestaltige Terrakotten, vornehmlich Stiere und Pferde, belegt, die einem gleichfalls in zwei Größenklassen begegnen. Die kleinen Terrakottafigürchen sind frei modelliert. Sie bestehen im Wesentlichen aus einem walzenförmigen Körper, von dem die Beinstümpfe, der Hals und der stark stilisierte Kopf ausgehen. Dies sind wenig mehr als bescheidene handwerkliche Schöpfungen. Genauere Aussagen gestatten die großformatigen Tierterrakotten, deren Leib walzenförmig auf der Scheibe hohl gedreht ist. An ihn setzen starr zylindrische oder konisch geformte Beine an. Der Kopf ist gewöhnlich frei modelliert. Diese Terrakotten lassen einen klaren Aufbau durch waagerechte und senkrechte Achsenbezüge erkennen, die Tragen und Lasten zum Ausdruck bringen. Eine Bemalung, die nun nicht etwa die organische Modellierung unterstützt, sondern Ornamente aus dem Repertoire der Vasenmalerei in abstrakter Weise benutzt, bereichert die Oberfläche. Drehscheibentechnik, strenger Aufbau mit klaren Achsenbezügen, Abstraktion der Form und des Dekors sind Merkmale, die im 10. Jahrhundert v. Chr. die frühe protogeometrische griechische Terrakottaplastik fortführt. Auch in diesem Kunstzweig lassen sich so Stil- und Strukturprinzipien erkennen, die von der frühen griechischen Kunst weitergepflegt werden.Prof. Dr. Hartmut MatthäusDemargne, Pierre: Die Geburt der griechischen Kunst. Die Kunst im ägäischen Raum von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Anfang des 6.vorchristlichen Jahrhunderts. München 1965.Das mykenische Hellas. Heimat der Helden Homers, herausgegeben von Katie Demakopoulou. Berlin 1988.Snyder, Geerto A.S.: Minoische und mykenische Kunst. Aussage und Deutung. München u.a. 1980.
Universal-Lexikon. 2012.